Untermain aktuell 3/1994
Auf dem Drehstuhl hinter Brieftauben her
Untermain-Exkursion zum Orientierungsversuch in der Wetterau
Gottseidank - am 8. Mai schien die Sonne! Und so konnte Professor Wiltschkos Taubentruppe auf den Äckern
bei Lich-Eberstadt ihre Vögel auflassen; der Orientierungsversuch, der auch als Teil 2 des diesjährigen
Untermain-Sonderprogramms vorgesehen war, fand statt.
Gottseidank auch, daß ich Frau Rietschel im Auto hatte! Hinter ihr, deren innere Jugendlichkeit ja nicht
jeder kennt, konnte ich mich quasi verstecken, als mir der Bio-Nachwuchs erstmal zu verstehen gab, so weit
hätte ich ja nun nicht mit der Benzinkarre auf die Felder fahren müssen. So etwas ist nicht mehr comme il
faut, beziehungsweise, wie es heute heißt, "politisch korrekt".
Na ja, das eben Gesagte ist ein bißchen unfair: Es könnte nämlich die Freundlichkeit überdecken, mit der
die Studentinnen und Studenten die mehreren Dutzend hergelaufenen "Untermain"-Touristen aufnahmen, und
die Geduld, mit der sie uns alles erläuterten - und das immer wieder, denn wir kamen ja nach und nach.
Dankeschön also, und nun zur Sache:
Die Obersten beim Taubenauflaßversuch sind die Beobachterinnen: Die sitzen auf Drehstühlen auf dem Dach
des bewährten klapprigen VW -Busses und verfolgen mit dem Fernglas die aufgelassenen Vögel bis zum
Verschwinden am Horizont. Wichtiges Hilfsmittel: eine Stütze für die Arme, davon muß niemand überzeugt
werden, der wie wir Besucher auch nur einmal versucht hat, eine minutenlang kreisende Taube nicht aus
den Augen zu verlieren.
Inzwischen wird unten schon der nächste Vogel vorbereitet: Das muß abgewechselt werden zwischen Versuchstauben
mit verstellter "innerer Uhr" und Kontrolltauben mit Normalzeit; da müssen kleine Magnete auf den Rücken geklebt
werden, oder aber nicht; und schließlich muß alles (wenn der Taubenversuch nicht für die Katz' gewesen sein soll)
ordentlich protokolliert werden. Zu sehen und zu lernen gab's für uns Besucher einiges - daß die Mini-Magnete
wirklich nicht viel wiegen (auch aus Taubensicht), daß man vor den Beobachterinnen oben geheim hält, welche
Sorte Vogel gerade dran ist (das verhindert Wunschdenken beim Feststellen der Richtung), und nicht zuletzt
auch, daß die Tauben des Hauses Wiltschko bestens versorgt und in Schuß sind.
Übrigens: Jeder private Züchter darf Tauben auflassen, wie er will (bekanntlich ist dieser "Sport" weit
verbreitet, und die Brieftaube galt zumindest früher im Ruhrgebiet als "Rennpferd des kleinen Mannes").
Wenn das aber wie hier ein Zoologieprofessor tut, dann braucht er dafür eine Genehmigung, denn dann gilt
das als Tierversuch. Ehrlich!
Während einige von uns neugierig den Tauben nachschauten oder die Vorbereitung des nächsten Tieres
verfolgten, gingen andere bei Prof. Wiltschko in die Nachhilfe. Schießlich hatten nicht alle zum Vortrag
von Frau Wiltschko kommen können, in dem sie uns die Sache mit dem Sonnenkompaß und den Ablauf des Versuchs
erklärt hatte. So kam der Leiter des Ganzen nur selten dazu, sich auch einmal zum Beobachten aufs Autodach
zu schwingen.
Das paßte dann auch nicht so ganz zu einem Eindruck, den der Besucher schnell gewann: Diese Veranstaltung
war fest in der Hand von Frauen! Zwar ließ frau den (sagen wir mal:) a-Ordinarius getrost den staunenden
Untermainlingen etwas beizubringen versuchen, aber sonst dominierten die Biologinnen deutlich. Für noch
so eifrige Jünglinge blieb subadultes Kreuzchenmachen übrig, oder eine auf Damen-Kommando weit weg von
metallenen Fehlerquellen auszuführende Stoppelhopserei mit Kompaß. (War das wieder unfair? Also nochmals:
Sorry! Und: Danke!)
Was wir auf dem Licher Acker natürlich noch nicht erfahren konnten, waren die Versuchsergebnisse.
Inzwischen hat uns Dr. Roswitha Wiltschko Daten und eine Grafik zur Verfügung gestellt. Und den
Taubenschlag werden wir auch noch zu sehen bekommen: Am 21.10.94 referiert zunächst Wolfgang Wiltschko
über Orientierung auf dem Zug (Stadthalle Bergen) und am Sonntag (23.10.94, 9 Uhr) besuchen wir das
Zoologische Institut.
Wulf Röhnert
8. Mai 1994: Taubenauflassung bei Lich
Versuchsort:
Der Auflaßort bei Lich-Eberstadt lag 40,6 km vom Schlag in Frankfurt am Main entfernt; die
Heimrichtung (192° als ziemlich genau Süden) ist im Diagramm gestrichelt angegeben.
Vorbehandlung der Tauben:
Die "Innere Uhr" der
Versuchsgruppe wurde um 6 Stunden vorverstellt, indem sie fünf Tage in einem Raum
lebte, bei dem das Licht 6 Stunden vor Sonnenaufgang ein- und 6 Stunden vor Sonnenuntergang ausgeschaltet
wurde. Die
Kontrollgruppe lebte in der natürlichen Tageszeit, wurde aber ebenfalls fünf Tage lang am
Umherfliegen gehindert.
Beide Gruppen wurden am Morgen des 8.5.1994 nach Lich verfrachtet und einzeln aufgelassen.
Die Hälfte der Tauben beider Gruppen bekam jeweils vor dem Start einen kleinen Stabmagneten mit
Veterinärkleber auf den Rücken geklebt, der die Wahrnehmung des Magnetfeldes (also den einer Taube
ebenfalls zur Verfügung stehenden Magnetkompaß) stören sollte.
Das Ergebnis zeigt die Grafik:
Die Kontrolltauben (mit und ohne Magnet), deren Sonnenkompaß stimmte, flogen etwa in Heimrichtung ab.
Die Tauben mit vorverstellter Innerer Uhr wichen deutlich nach links ab (um 92° bzw. 84° das ist
allerdings weniger als die 120°, die bei exakter Berücksichtigung des 6-Stunden-Unterschieds im
Sonnenstand zu erwarten gewesen wären.
Die Magnete schienen diesmal keinen Einfluß auf das Ausmaß der
Abweichungen zu haben (frühere Versuche ergaben eine Vergrößerung der Abweichung).
Heimkehr:
Die Kontrolltauben kehrten alle heim, bis auf eine sogar schon am Tag der Auflassung. Die
Fluggeschwindigkeit betrug durchschnittlich etwa 43 km/h. Die schnellste Taube war die zuletzt
aufgelassene; sie brauchte 47 min (das sind 51,8 km/h!). Von den Versuchstauben kehrten 31% bzw.
55% zurück, hier kamen einige erst an den folgenden Tagen wieder in ihren Schlag.
(nach Angaben von R. Wiltschko)
Wulf Röhnert