Untermain aktuell 1/1996
Vogelberinger am Werk
In der Hand gibt auch die Amsel Rätsel auf
Hatten wir etwas falsch gemacht? Und was? Der (nach jahrzehntelanger Pause) erste Gang ans Netz gestaltete
sich für die beteiligten Untermainer erst einmal zur Geduldsprobe und zur Gewissensprüfung. Viele Wochen
Vorbereitung lagen hinter uns, Genehmigungen waren besorgt, Pässe ausgestellt, Netze entwirrt, Ringe und
Listen angeschafft worden, für alles - meinten wir - war somit gesorgt, und dann dauerte es am 16. September
vier endlos wirkende Stunden, bis sich der erste Vogel in den Maschen des Japannetzes verfing: ein Rotkehlchen.
Merke:
Vogelberinger brauchen Geduld!
Und dann ging alles ganz schnell: Der ruhig im Netz hängende Vogel wurde von geschickten Händen aus den
Maschen befreit, in ein Leinensäckchen verfrachtet und ins nahegelegene Sebastian-Pfeifer-Haus gebracht.
Dort, auf unserer "Station", wurde das Rotkehlchen gewogen, vermessen, beringt und wieder freigelassen:
"Untermain" war damit in das an dieser Stelle schon ausführlich dargestellte Helgoländer "Heckenprogramm"
eingestiegen und wieder "am Netz".
Und seitdem werden - ganz wie es das unerbittliche Programm verlangt - alle zehn Tage morgens vor Sonnenaufgang
die sieben Netze an "unserer" Hecke am Berger Hang aufgestellt. Mindestens sechs Stunden lang wird dann gefangen.
Ausnahme: Bei Regen und starkem Wind fällt das Beringen aus, denn nasse Federn und Auskühlung könnten den Vögeln
schaden.
Vogelberinger arbeiten nicht für sich, sondern für die Vögel!
Beim Fangen und Erfassen wird jede unnötige Beeinträchtigung (erst recht jedeVerletzung) vermieden, hat das
Wohl des Vogels Vorrang: Gut, daß wir zwei junge Experten im Team haben: Felix Jachmann und Manfred Sattler
haben nicht nur auf Helgoland gelernt, wie's geht, sondern auch schon vom ungarischen Platten- bis zum kanadischen
Erie-See ihre Fähigkeiten erprobt und unter Beweis gestellt.
Wiegen, messen, Listen führen - kein Problem, wenn man einmal sieht, wie's geht. Und die Artbestimmung ist es
für halbwegs geübte Beobachter auch nicht: "Du bist eine Amsel!" Ja, ja, aber bist du nun ein junger Amselmann
vom letzten Jahr oder aber eine junge/alte Amseline? Beim "Agen" und "Sexen" (Alters- und Geschlechtsbestimmung)
werden alte Bekannte plötzlich wieder Rätselvögel. Dann wird Literatur gewälzt, und im Orni-Jargon spielen
ungewohnte Begriffe wie 'Mausergrenze', 'Handdeckenabnutzung' oder 'Schädelpneumatisierung' eine Rolle.
Hat die weibliche Amsel eigentlich auch einen gelblichen Augenring wie das erwachsene Männchen, oder haben wir
doch ein junges Männchen in der Hand? Mit den Feldbestimmungsbüchern kommt man da nicht weit. Darauf, daß
Schwanzmeisen einen gelben Lidring haben, weisen Jonsson, Parey und Co. eben nicht besonders hin, man kann
es "draußen" ja auch kaum erkennen. (Apropos Schwanzmeisen: Auf sieben putzige Kerlchen im Netz reagierten
auch abgebrühte Ornis mit "süß!") Viel Zeit zum Diskutieren von Feinheiten hat man übrigens auch beim Beringen
nicht - schließlich muß der Vogel so bald wie möglich wieder raus; Besonderheiten, auch besonders schöne Exemplare,
werden höchstens ruck zuck fotografiert.
Beringer lernen Vögel besser kennen!
Und nicht nur darüber: In den Pausen zwischen den Kontrollgängen ans Netz wird Holz in den Ofen geschoben,
Kaffee gekocht, Uno gespielt, der Laptop mit Beringungsdaten gefüttert, werden Ravioli aus der Dose gewärmt
und verspeist. Vor allem aber bleibt Zeit zum Reden. Themen gibt's ja genug - und wenn es der krachende Sturz
ist, den das weit gewichtigste Vorstandsmitglied neulich beim Gang ans Netz tat ("... aus meiner Sicht noch
eine ganz passable Rolle vorwärts ...").
Vogelberingen macht Spaß!
Das Heckenprogramm läuft noch fast ein ganzes Jahr. Weitere Mitmacher sind gefragt und gesucht. Zur Zeit
besteht das Team vor allem aus drei Studenten und "Stationsvorsteher" Manfred Sattler. Ansprechpartner
bei der Vogelkundlichen Beobachtungsstation Untermain e.V. ist Ulrich Eidam (069 /72 46 37).
Untermain hat übrigens in Niedererlenbach noch eine zweite Hecke im Beringungsprogramm, die unser
Alt-Profi Karl-Heinz Lang im Alleingang betreut.
Von Amsel bis Zilpzalp
Bis Ende Januar 1996 sind am Berger Hang etwa 150 Vögel aus 16 Arten ins Netz gegangen (manche mehrfach):
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Amsel (40 Exemplare) | Blaumeise (16) | Feldsperling (7) | Gartenbaumläufer (1) |
Gimpel (3) | Goldammer (1) | Grünfink (1) | Heckenbraunelle (3) |
Kohlmeise (17) | Rotkehlchen (19) | Schwanzmeise (7) | Singdrossel (2) |
Sumpfmeise (2) | Weidenmeise (1) | Zaunkönig (10) | Zilpzalp (1) |
Die Weidenmeise war beringt. Wir wissen nur noch nicht, wo und von wem.
Fortsetzung aus Untermain-aktuell 2/1996:
Ein unerwarteter Fang
Kennen Sie den abgebildeten Piepmatz noch? Ja, die Weidenmeise wurde im letzten 'Untermain aktuell' vorgestellt:
Sie war der erste Vogel, der beim neuen Beringungsprogramm bereits beringt ins Netz gegangen war. Und jetzt wissen
wir, wer sie wann und wo markiert hat. Das Ergebnis hat mich ziemlich lange sprachlos gemacht.
Die Vogelwarte Helgoland hat uns nämlich im Vorgang Nr. 41903/1 mitgeteilt, das bei uns von Felix Jachmann
am 11.11.1995 gefangene Exemplar sei am 25.05.1994 in 0 km Entfernung vom neuen Fangplatz beringt worden -
von Gerhard Lambert!
Sein Tod Anfang 1995 hatte alle altgedienten Untermainer und viele Naturfreunde in und um Frankfurt stark
berührt. Schließlich gehörte Gerhard Lambert nicht nur viele Jahrzehnte dazu, sondern er verkörperte auch
die zweite Generation; sein Vater war von Anfang dabei, beide hatten seinerzeit die Beringerei bei Untermain
speziell nach dem Kriege wieder auf- und ausgebaut. Der eine oder andere unter uns wußte ja, dass Gerhard Lambert
immer noch einen gültigen Beringerausweis besaß, aber daß er noch aktiv beringte, war mir zum Beispiel unbekannt.
Und jetzt das!
Man könnte nun den Vorgang als Symbol bewerten - etwa: Weitergabe des Stabs von der einen an die nächste Generation;
aber das kommt mir doch viel zu gestelzt und hochtrabend vor. Nehmen wir's einfach und durchaus dankbar als unerwarteten
letzten Gruß eines Freundes an, dessen Name für sieben Jahrzehnte Untermain steht.
Fortsetzung aus Untermain-aktuell 1/1997:
"Lambert-Meise", Teil 2, 3, usw.
In "Untermain aktuell" 2/96 war die bei uns am 11.11.95 gefangene Weidenmeise noch eine kleine Sensation,
war sie doch am 25.5.94 noch von unserem verstorbenen Mitglied Gerhard Lambert beringt worden. Inzwischen ist
das Vögelchen eine Art Stammgast beim Heckenprogramm geworden: Wiederfang Nr. 2 und 3 stehen zu Buche -
und Nr. 4 würde unsere Netzbetreiber nicht wundern. Andererseits: Mit über zwei Jahren hat die Weidenmeise
ein für freilebende Kleinvögel respektables Alter erreicht. Sehr oft werden wir sie wohl nicht mehr zu sehen kriegen.
Wulf Röhnert