Untermain aktuell 2/1996
Wie man Öl unter den Teppich kehrt...
Ein Trauerspiel aus Wales mit 6000 toten Trauerenten
Allein in der Carmarthen Bay in Wales starben im Februar 1996 schätzungsweise 6.000 überwinternde Trauerenten nach der Havarie des Supertankers Sea Empress: hintereinander gelegt wären das drei Kilometer tote Vögel. Und schon heute spricht keiner mehr davon.
Wulf Röhnert war vor Ort!
Mitte Februar war die Welt entsetzt: Der Riesentanker Sea Empress war vor der Einfahrt in die Bucht von Milford Haven im britischen Wales auf Grund gelaufen und leckgeschlagen. Tagelang mühten sich Schlepper, ihn in den Hafen zu bugsieren; als das geschafft war, waren 70.000 (heute hört man: 100.000) Tonnen Rohöl ausgelaufen. Auffällige Schäden wurden tatkräftig und, dank der Medien, weltweit sichtbar beseitigt. War's das? So weit ist es ja nicht vom "Untermain" bis nach Wales - am 19. März habe ich dort einmal nachgeschaut.
Gelliswick Bay riecht nach Tankstelle
Der Nebel in der Bucht von Milford Haven will sich nicht verziehen, und so bleibt die Sea Empress draußen an der Ölpier ein grauer Schatten - gewaltig lang und auch, da inzwischen leer, beeindruckend hoch. Der Strand unter mir scheint frei von Öl, trotz Ebbe. Allerdings ist am Rande ein Bagger damit beschäftigt, an der Niedrigwassermarke verölte Felsbrocken im Schlick beiseite zu räumen. Nach dem Unfall habe er mit vielen anderen hier gearbeitet, erzählt der Fahrer, jetzt sei der verölte Untergrund ins Hinterland gekarrt, und er sei beim letzten Aufräumen. Die Gelliswick Bay vor dem Jachtklub sei wieder sauber; die Touristen könnten kommen. Der Augenschein, wörtlich genommen, gibt ihm recht. Aber das Fischerboot fährt trotzdem nicht hinaus, Sturmmöwen und Austernfischer zeigen verdrecktes Bauchgefieder. Und vor allem - die ganze Gegend riecht wie eine Tankstelle. Südwest-Wales hat nämlich vor allem unzugängliche Steilküsten, flache Buchten sind die Ausnahme.
Note l für die Strandputzer
Die Mini-Bucht Martin's Haven liegt im Norden der Halbinsel, an deren Südseite die Sea Empress havarierte; von hier fahren in der Saison Motorboote hinaus zu den Vogelinseln Skomer, Skokholm und Grassholm. Steil und eng führt der Weg hinunter zum schmalen Kiesstrand. Bevor ich ihn erreiche, steht links ein Schild "Caution Oil on Beach" und rechts ein großer Müllcontainer, gefüllt mit metallisch grün-blau-gelb schillernden Plastikstreifen und Seegrasbüscheln; das Zeug stinkt penetrant nach Öl. Am Wasser geht es meiner Nase wieder besser. Sechs Männer sind mit drei Raupenfahrzeugen dabei, diesen auch bei Ebbe nur 100 Meter breiten Zugang zu säubern. Stolz erläutern sie ihr Verfahren: Feuerwehrpumpe und -schlauch sorgen für einen armdicken Wasserstrahl; in den hält ein Bagger seine Schaufel mit Kies und Felsbrocken; die Brühe läuft in eine Grube, in der Plastikreste und angeschwemmtes Seegras das meiste Öl heraus filtern. Hochachtung vor den hart arbeitenden Männern und dem Einfallsreichtum des Erfinders! Im Fach Strandputz haben sie eine "eins" verdient, für den Naturschutz aber können sie nichts tun. "Nein", bestätigt einer, "auf den Inseln macht das keiner, da geht das ja nicht." An den übrigen Steilküsten auch nicht.
"Die sind inzwischen alle tot."
Man solle tote oder verölte Vögel nicht selbst einsammeln, sondern eine der Organisationen des gemeinsamen Krisenstabs verständigen, hatte es auf einer Tafel geheißen, und ein Strandputzer nannte mir die Vogelwaschadresse in Milford Haven. Auf dem Fabrikgelände aber ist alles verrammelt, am Fenster klebt eine Information des britischen Tierschutzbundes: Nach der Wascharbeit der ersten Wochen seien jetzt keine Vögel mehr zu behandeln bzw. sie würden auf den Schiffen direkt versorgt. Eines der Schiffe liegt im Hafen, die einer Umweltgruppe gehörende Ocean Defender. Andrew, der die Reling streicht, ist mein erster Gesprächspartner, der etwas von Ornithologie versteht. Es sei Ruhe eingekehrt, meint er, nach den hektischen ersten Tagen gebe es kaum noch verölte Vögel - "they are all dead by now" (die sind inzwischen alle tot). Tröstlicher: der Mann bestätigt, was den Meldungen Mitte Februar nicht zu entnehmen war - die großen Scharen klippenbrütender Alkenvögel und die Spezialität der Inseln, Schwarzschnabelsturmtaucher und Sturmschwalben, seien noch nicht zum Brüten eingetroffen. Ob sie im April in der Umgebung genügend Freß-und Verfutterbares finden, sei aber sehr zweifelhaft. Denn, was die Lebewesen am Meeresboden anbetrifft, waren wir einer Meinung: "They are all dead by now."
"Kommt ins schöne Wales"
Die Zahlen umgekommener bzw. geretteter Vögel, so hatte Andrew bedauert, könne mir nur das "Joint Response Committee" nennen, eine Art Krisenstab. Das Telefon versagt ("Melden Sie sich morgen ...") am 19. März; später liefert der Krisenstab immer nur ebenso nette wie belanglose Pressemitteilungen mit dem Tenor; "Urlauber, kommt ins schöne Wales". Als ich erfahre, die Pressestelle sitze weit weg in Southampton und werde von der staatlichen Küstenwache betrieben, wird manches klar: ein Gremium, in dem Regierung, Kommunen und ums Geschäft besorgte Hoteliers und Gastwirte stark vertreten sind, versucht eben, das Öl und die ganze Sache möglichst unter den Teppich zu kehren.
Lonise Tickte weiß alles - und sagt es!
Bei der britischen Gesellschaft für Vogelschutz RSPB finde ich endlich jemanden, der etwas weiß und sagt. Louise Tickle von der RSPB Wales erklärt, wie weit das Öl um die Südwestecke von Wales herum die Küste erreicht hat ("bis St. David's komplett, fleckenweise bis Cardigan"), sie weist auch darauf hin, daß die Vogelinseln nur "relativ leicht betroffen" seien: zu erwarten seien Brutausfälle, doch mit dem Tod der jetzt erst kommenden Vögel sei nicht zu rechnen. Die schlimmsten Schäden habe es östlich Milford Haven gegeben: In der Carmarthen Bay hatte man vor dem Öl 6.000 bis 8.000 überwinternde Trauerenten gezählt; danach wurden 3.000 tot geborgen und 3.000 weitere, so gut es ging, gereinigt. Und das besagt nicht viel, erläutert Louise, diese Art Entölung habe trotzdem 90 Prozent Ausfall zur Folge. Schließlich hätten die Enten das Gift auch mit der Nahrung aufgenommen: "Man kann sagen, daß die gesamte Population vernichtet worden ist."
Statt "Moral": noch fünf tote Enten
Ich weiß so vieles nicht: - ob in Deutschland nach so einer Sache (vor Sylt!) nicht auch schöngeredet würde, - ob ich nicht die ohnmächtigen Bemühungen der Helfer stärker loben müßte, - ob nach Amoco Cadiz, Torrey Canyon, Exxon Valdez, Sea Empress usw. international im Tankerbau und -betrieb nicht doch etwas geschieht. Und so schließe ich statt mit einer "Moral von der Geschicht" lieber mit einem Nachtrag, den Louise telefonisch am 3. April lieferte: Das Öl war immer noch nicht völlig angespült, verdunstet oder abgesunken, sondern Reste trieben 70 Seemeilen vor der irischen Küste; Beweis für die Verbindung zur Sea Empress: fünf tote Trauerenten - im Februar in der Carmarthen Bay aufgefischt, gewaschen, beringt und dann wieder "freigelassen".
Wulf Röhnert