Untermain aktuell 3/2002


Professor Dr. Friedrich Wilhelm Merkel

27.08.1911 - 12.08.2002



Friedrich Wilhelm Merkel wurde am 27. August 1911 in Breslau geboren. Die Beschäftigung mit der belebten Natur war ihm geradezu in die Wiege gelegt: Sein Großvater, Eduard Merkel, war eine Autorität auf dem Gebiet der Systematik und Ökologie der einheimischen Mollusken, und sein Vater war der Vorsitzende der Breslauer Ortsgruppe des Vereins Schlesischer Ornithologen. Der heranwachsende Fritz Merkel griff die so vielfältig gebotenen Anregungen zu biologischer Tätigkeit begeistert auf. Schon sehr früh fühlte er sich der Ornithologie eng verbunden, hat aber seine wissenschaftliche Tätigkeit und sein allgemeines Interesse nie darauf beschränkt. Neben den Vögeln bildeten besonders die Heuschrecken einen zweiten Interessenschwerpunkt, vielleicht, weil auch sie sich häufig durch ihre Gesänge bestimmen lassen. Die Anfänge wissenschaftlicher Tätigkeit reichen bereits in seine Schulzeit zurück, als er die Beutelmeisen in den Breslauer Rieselfeldern studierte; er enträtselte ihre Sozialstruktur und beschrieb in einer wissenschaftlichen Arbeit ihr polygames Verhalten, ein Thema, zu dem er nach einer langen Hochschullaufbahn während seines Ruhestands zurückfand.

Die Tätigkeit im Verein Schlesischer Omithologen ermöglichte Fritz Merkel die Kontakte zu vielen Gleichgesinnten. Besonders hervorzuheben sind in dieser Hinsicht die Kontakte zu dem bekannten Ornithologen von Trettau, auf dessen Rittergut Fritz Merkel als Student seine Versuchsvögel fangen konnte und wo er die Anregung zu einem großen Trauerschnäpperprogramm gab, das von Trettau nach der Vertreibung aus der schlesischen Heimat hier in Hessen in der Gegend vom Mönchbruch fortsetzte. - Ein zweiter Ort, von dem Fritz Merkel sehr gern erzählt, ist die Vogelwarte Rossitten; hier konnte er als 'Planbeobachter' seine Artenkenntnis vervollständigen und in einer herrlichen Landschaft den Massenwechsel der Vögel im Jahresablauf direkt miterleben. Seine Doktorarbeit über das Thema "Zur Physiologie der Zugunruhe bei Vögeln" schloß Fritz Merke1 1937 in Breslau ab; anschließend ging er mit seinem Doktorvater Giersberg an die J.W. Goethe-Universität in Frankfurt, wo er im Januar 1938 eine Stelle als wissenschaftlicher Assistent antrat.

Aus Schlesien stammt auch seine Ehefrau Ilse, ebenfalls eine begeisterte Biologin, die er 1939 heiratete, und die Fritz Merkel sein Leben lang in guten und in schlechten Tagen eine treue Gefährtin gewesen ist.

Die schlechten Tage kamen bald nach dem Umzug nach Frankfurt. Kriegsdienst an der Ostfront und anschließend Kriegsgefangenschaft mit Verschleppung nach Sibirien unterbrachen den bis dahin geradlinigen wissenschaftlichen Lebensweg; erst 1950 konnte er an die Universität zurückkehren. Trotz dieser harten Schicksalsschläge hatte sich Prof. Merkel seine positive Lebenseinstellung erhalten. Als Hochschullehrer war er durch seine liebenswürdige und tolerante Art bei den Studenten sehr geschätzt, für deren Belange er stets ein offenes Ohr hatte. Seine umfangreichen Kenntnisse der einheimischen Fauna beeindruckten, und nicht wenige wurden gerade durch ihn zu begeisterten Freilandzoologen und Ornithologen. Er verstand es, viele seiner Studenten zu ökophysiologischen Arbeiten anzuregen. Da er ihnen bei der Wahl der Versuchstiere weitgehend Freiheit ließ, reichten diese von Planarien und Heuschrecken bis hin zu Huftieren und Primaten, wenn auch die Vögel naturgemäß im Vordergrund standen. Zahlreiche seiner Schüler sind heute in Museen und Hochschulen in verantwortlicher Position tätig. Die Breitenwirkung, die seine Ideen auch durch die Ausbildung zahlreicher Lehrer fand, läßt sich nicht hoch genug einschätzen.

In seiner eigenen Forschungstätigkeit beschäftigte sich Fritz Merkel vor allem mit den stoffwechselphysiologischen und endokrinen Vorgängen, die die Jahresperiodik der Zugvögel steuern. Ein Forschungsaufenthalt in den USA im Labor von D.S. Farner vertiefte seine internationalen Kontakte. Er dehnte seine Untersuchungen auch auf andere jahresperiodische Fragestellungen aus, und später wurde die Orientierung der Zugvögel eines seiner intensiv betriebenen Arbeitsgebiete. Hier gehört zu seinen wichtigsten Entdeckungen, dass sich Vögel - ganz in Gegensatz zur damals vorherrschenden Lehrmeinung - auch ohne Himmelssicht mit Hilfe des Erdmagnetfelds orientieren können. Ausgehend von Versuchen zum Heimfindevermögen begann er großangelegte, langfristige Untersuchungen zur Populationsdynamik und Soziobiologie von Staren. Die Beobachtungskolonie legte er sich in seinem Privatgarten an, so dass diese Forschungstätigkeit auch durch die Pensionierung nicht unterbrochen wurde. Diese über 20 Jahre laufende Studie erbrachte ein komplexes Bild vom Zusammenleben dieser Vogelart, mit vielen überraschenden Erkenntnissen zur Sozialstruktur und Polygynie.

Der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft war Fritz Merkel als aktives Mitglied zeitlebens verbunden. Er war lange Zeit gewähltes Mitglied im Beirat, und die Gesellschaft ehrte sein Engagement 1988 bei der 100. Jahresversammlung mit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft.

"Ruhestand" bedeutete für Fritz Merkel keineswegs, dass er sich zur Ruhe setzen konnte. Er nutzte damals die freiwerdende Zeit sofort für ein neues Engagement und wandte sich dem praktischen Vogelschutz zu. Für viele Jahre leitete er den traditionsreichen ornithologischen Verein Vogelkundliche Beobachtungsstation UNTERMAIN e. V und gab dessen Zeitschrift LUSCINIA heraus. Als Vertreter von Untermain wirkte er mit in der Deutschen Sektion des Internationalen Rates für Vogelschutz und hatte im Vorstand der hessischen Beringer manch harten Strauß auszufechten. Der Ehrenvorsitz im Verein war eine sichtbare Anerkennung dieses Engagements.

Die praktischen Aufgaben hatte Fritz Merkel in den letzten Jahren abgegeben. Er wollte noch als Autor des Bandes 'Vögel' des zoologischen Standardwerkes Lehrbuch der Speziellen Zoologie, dem 'Kaestner', sein ornithologisches Wissen an eine neue Generation von Studenten weitergeben. Dazu ist es nicht mehr gekommen.

Prof. Dr. Wolfgang Wiltschko

Dieser Text ist eine mit Erlaubnis des Autors aktualisierte Fassung des kurzen Lebenslaufs, der 1991 in der Luscinia Bd. 47, S. 2-4 erschienen ist.