Untermain aktuell 2/2011
Ornithologische Besonderheiten vor unserer Haustür
Ein Sichler (Plegadis falcinellus) auf Reisen
Die Beobachtung eines Sichlers im Bingenheimer Ried passt sehr schön zu unserem Sonderprogrammthema dieses Jahres: "Reisende Vögel - reisende Forscher". Hier ist es eine Vogelart, die eigentlich mehr in Süd- und Südosteuropa zuhause ist. Der zu den Ibissen zählende Vogel wurde von Bastian Mayer entdeckt, wie, erzählt er hier selbst:
"Ich ging am 30.03.2011 wie eigentlich jeden Tag, seitdem die Sonne regelmäßig die Temperaturen höher als 15° ansteigen ließ, nach meiner Arbeit (Freiwilliges Ökologisches Jahr auf der HGON-Geschäftsstelle in Echzell) noch einmal in die Wetterauer Gebiete. Zwar war an diesem Tag die Sonne eher zurückhaltend und der Wind noch recht kräftig, aber um meine Routine nicht abreißen zu lassen, ging ich raus und fuhr als erstes ins Bingenheimer Ried. "Gut" dachte ich mir "ohne Sonne kein Gegenlicht,
also hat ja alles seinen Vorteil". Gegen 16:25 Uhr kam ich am Beobachtungsstand an, baute mein Spektiv auf und machte mich daran, wie üblich das Ried von links nach rechts durchzumustern. Oh, ein erster Großen Brachvogel - meiner Meinung nach ein eigentlich recht früher Termin - als dann aber noch vier andere unwesentlich weiter rechts vom ersten standen, dachte mir nichts weiter dabei. Ich "scannte" also weiter die für Limikolen bekannten Flächen ab und sah dann den sechsten Großen Brachvogel.
Ich schwenkte weiter, stutzte und dachte "hoppla, so dunkel war ja bisher wirklich noch kein Großer Brachvogel, obwohl ab und zu das Gegenlicht vieles dunkelbrauner erscheinen lässt" und "heute ist aber die Sonne doch gar nicht zu sehen und die ersten fünf Brachvögel waren doch auch normal hell". Sofort drehte ich mein Spektiv zu der Stelle, wo der Vogel bis eben gestanden hatte. Da war er auch noch. Im Kopf gehe ich die "Limikolen-Liste" durch, was für eine Art ist denn sonst noch so groß wie ein Brachvogel und so untypisch dunkel. Alles lief darauf hinaus, dass es nur ein Sichler sein konnte. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich gerade jetzt einen Sichler mitten in Hessen gefunden habe, eine doch eher seltene Art für unsere Region. Noch während ich aufgeregt den Vogel und seine Merkmale betrachtete, flog der Vogel auf, kreiste einmal "demonstrativ" um den Beobachtungsstand und zog in Richtung NNW, also in Richtung Teufels- und Pfaffensee, ab. Ich packte sofort meine Sachen zusammen, sprintete los, sprang in meinen VW und fuhr in Richtung der beiden Seen, in der Hoffnung den Vogel noch einmal zu erwischen. Nach 2 ½ Stunden Nachsuche gab ich auf, der Vogel war nicht mehr aufzufinden. "Das glaubt mir doch eh keiner" sagte ich mir und rief gleich darauf Matthias Fehlow an, um seine Meinung zu dieser Beobachtung zu hören.
Am folgenden Morgen konnte dann der Sichler von Wilfried Hausmann und - Gott sei Dank - sogar mit sehr guten Belegfotos dokumentiert werden. Weiterhin konnte sogar ein Farbring am rechten Bein festgestellt und abgelesen werden, weißer Ring mit schwarzer Schrift V02.
Im Internet auf der Seite http://www.cr-birding.be kann man sich informieren, welche Beringungsprojekte in Europa diese Ringe für Sichler verwenden. Der erste Hinweis führte nach Frankreich, was sich aber als falsch erwies. Thomas Sacher fand heraus, dass der Sichler aus Spanien stammt.
Julia Piccardo Valdemarín stellte ihm dankenswerterweise folgende Informationen zur Verfügung:
"Der Vogel mit dem weißen Farbring V02 wurde am 19.06.2010 als nichtflügger Jungvogel im Gebiet Illa de Buda - Tarragona - Spanien (N40°42'23", E00°51'21") (Ebro-Delta) beringt." - Bastian Mayer
Damit ist die Geschichte dieses einjährigen Vogels aber noch nicht zu Ende.
Dieser Vogel hielt sich vom 30. März bis 9. April im Bingenheimer Ried auf und konnte dort am 10. April nicht mehr gefunden werden, was nicht verwunderlich war, denn er wurde an diesem Tag am Seeanger östlich von Göttingen entdeckt und anhand des Farbrings als der "Bingenheimer Sichler" identifiziert. Am nächsten Tag war er schon wieder weitergezogen.
Am 17. April wurde er erneut entdeckt und zwar in der Großen Grabenniederung bei Parey, wo er bis zum 30. April zu beobachten war. An diesem Tag wurde er noch einmal am Gülper See gesehen und blieb dann verschwunden.
Knapp 3 Wochen später kam folgende Meldung:
>Von: vros@takas.lt - Gesendet: 19.05.2011 12:54:48
>An: EBN@birdlife.fi - Betreff: [EBN] Glossy Ibis in Lithuania
>On May 19, 2011 near Kintai fish ponds (West Lithuania) observed Glossy Ibis >with white plastic ring V02. 6th record for Lithuania. - Vytautas Jusys
"Unser" Vogel war am 19. Mai an einer Fischteichanlage in Litauen wieder gefunden worden. Hier blieb er wohl bis zum 26. Mai. Am 16. Juli tauchte er dann in den Niederlanden auf. Das ist bislang die letzte bekannte Station seiner Tour durch Europa.
Diese spannenden Beobachtungen sind eigentlich nur möglich geworden, durch die Beringung mit Farbringen, die auch auf recht große Entfernung mit Spektiven sicher abgelesen werden können und nicht zuletzt durch den intensiven Informationsaustausch über das Internet durch die Mitglieder der Gruppen, wie z. B. dem "www.club300.de", vogel_hessen@yahoogroups.de, "www.HGON.de", german-birdnet@yahoogroups.de und weiteren regionalen Seiten. - Ulrich Eidam
So auch die folgende Beobachtung eines
Grasläufer (Tryngites subruficollis)
zwischen Klein-Zimmern und Habitzheim
Meldung im HGON-Birdnet am 6. Sep. 2011 Grasläufer von Wolfgang Heimer
"Hallo,
Nachdem von M. Jönck am 4.9. Mornellregenpfeifer auf den Ackerflächen zwischen Klein-Zimmern und Habitzheim beobachtet wurde, entdeckte Harald Kram heute auf identischem Acker einen Grasläufer. Der Vogel konnte um ca. 16.00 Uhr nochmals von Klaus Hillerich, Valentin und Wolfgang Heimer bestätigt werden."
Der Grasläufer ist eine etwa starengroße Limikolenart, die im Norden Amerikas brütet. Er ähnelt ein wenig einem kleinen Kampfläufer im Jugendkleid, doch wirkt sein Kopf runder, der Schnabel ist kürzer, gerade und dünner, durch einen hellen Augenring wirken die Augen besonders dunkel.
Eine kleine Beobachtertruppe bestehend aus Erwin Jachmann, Matthias Fehlow, Bastian Mayer, Reinhard Teuber, Jochen Baurmeister, Martin Grimm und mir machten sich am Mittwochvormittag (7.9.2011) auf, diesen Vogel zu suchen. Natürlich waren wir überhaupt nicht sicher, ob denn dieser Vogel auch noch dort sein würde.
An der Straße zwischen Klein-Zimmern und Habitzheim konnte uns der "Entdecker" des Vogels, Harald Kram, der kurz vor Ort war, das Feld zeigen, auf dem er bei der Suche nach Mornellregenpfeifer den Grasläufer am Tag zuvor entdeckt hatte.
Trotz intensiven Absuchens des Feldes und auch der benachbarten Äcker konnten wir aber außer mehreren Steinschmätzern, Schafstelzen, Braunkehlchen und Feldlerchen nicht den gewünschten Vogel finden. Wir teilten uns auf, um ein größeres Gebiet absuchen zu können und entdeckten dabei 13 Mornellregenpfeifer, die über ein Feld rannten und so auch entdeckt werden konnten. Wenn diese 11 adulten und die beiden jungen Mornells stehen-blieben, war es sehr schwer, sie sehen, da sie ein perfekte Gefiederfärbung besitzen, die sie nahezu "unsichtbar" macht. Wir beobachteten fast eine Stunde lang diese Gruppe, wobei wir aber nicht vergaßen, weiterhin auf den Grasläufer zu achten. Vor zwei Jahren wurde auch ein Grasläufer in einem Trupp von 14 Mornellregenpfeifern auf dem Schröckerfeld bei Marburg entdeckt, so dass auch hier diese Möglichkeit bestand. Aber ohne Erfolg.
Nach fast 6 Stunden traten wir leicht gefrustet den Rückweg zu den Autos an, zwar glücklich über die schöne Mornell-Beobachtung, aber der Grasläufer wäre natürlich das Highlight gewesen. Wenige hundert Meter vor den abgestellten Autos standen mehrere Steinschmätzer auf einem Acker und Reinhard Teuber glaubte schon etwas Größeres gesehen zu haben. War wohl nur ein Steinschmätzer!? Ich suchte mit dem Spektiv das Nachbarfeld ab und sah - mir stockte kurz der Atem - einen kampfläuferähnlichen Kopf aus dem keimenden Winterweizen hervorschauen, der aber gleich wieder verschwand. Als der Kopf wieder auftauchte, war mir klar, das war der gesuchte Grasläufer. Jetzt war die Begeisterung natürlich groß.
Die Nachricht, dass der Grasläufer noch da sei, wurde sofort telefonisch weitergegeben, so dass an diesem Tag und auch an den folgenden Tagen viele Vogelbeobachter aus ganz Deutschland sich diesen Vogel anschauen konnten. Drei Italiener aus Mailand kamen allerdings zu spät, am Abend zuvor war der Vogel in südliche Richtung abgeflogen.
Interessant war, dass wir schon am Morgen an dieser Stelle gestanden haben, aber immer in die entgegengesetzte Richtung geschaut hatten. - Text und Aufnahmen Ulrich Eidam
Und wieder ist das Bingenheimer Ried im Fokus der Ornis:
Männliche Steppenweihe (Circus macrourus)
Am 11.9.2011 wird morgens im Bingenheimer Ried ein Männchen der Steppenweihe (2. KJ) vom Beobachtungsturm aus von Udo Seum, dem Gebietsbetreuer, entdeckt und gemeldet. Thomas Sacher hat ein paar Bilder von diesem Vogel machen können, kurz bevor er aufstieg und gen Südwest abflog. In diesem Jahr werden von den verschiedensten Orten Deutschlands sehr viele Beobachtungen von meist diesjährigen (also jungen) Steppenweihen gemeldet. - Ulrich Eidam
Graubruststrandläufer (Calidris melanotos)
Wieder war es Udo Seum, der eine ornithologische Besonderheit in "seinem" Bingenheimer Ried entdeckte. Wenige Tagen zuvor war das Wasser aus dem Ried abgelassen worden, um Baumaßnahmen durchführen zu können und um Fische, die ins Ried eingeschleppt worden sind, wieder daraus entfernen zu können, um den Reichtum an gefährdeten Amphibien zu erhalten. Die durch das Ablassen des Wassers entstanden Schlickflächen sind ideale Rastplätze für durch-ziehende Strandläufer. So war es nicht verwunderlich, dass z. B. Alpenstrandläufer, Bekassinen, Kiebitze, sogar ein Kiebitz-Regenpfeifer diese Flächen aufsuchten. Am 2.10.2011 konnte Udo Seum dann zwischen diesen Limikolen den Gast aus Nordamerika oder Nordsibirien entdecken. Auch am 8.10.2011
(Stand 9.10.) konnte diese bei uns sehr seltene Strandläuferart noch beobachtet werden. - Ulrich Eidam
Mitgliederbrief "Untermain aktuell", Nr. 2/11, Oktober 2011. Verantwortlich für diese Ausgabe: Ulrich Eidam